"Günter Eich [...], der neulich aus dem Chaos auftauchte und mir sehr schöne neue Arbeiten sandte": Wandlungen und Paradoxe des Gedichtbandes Abgelegene Gehöfte - Université de La Réunion Accéder directement au contenu
Chapitre D'ouvrage Année : 2017

"Günter Eich [...], der neulich aus dem Chaos auftauchte und mir sehr schöne neue Arbeiten sandte": Wandlungen und Paradoxe des Gedichtbandes Abgelegene Gehöfte

Résumé

Günter Eichs Nachkriegslyrik, und in erster Linie sein inzwischen zur Schullektüre gewordenes Gedicht „Inventur“, galt bereits Ende der 1940er Jahre als Paradebeispiel, ja als das gelungenste Vorbild des literarischen Neuanfangs im Nachkriegsdeutschland. Auch der Dichter selbst schien sich in seinen poetologischen Äußerungen von seinem Vorkriegswerk zu distanzieren, indem er sich 1947 ausdrücklich zu einer bewussten Wandlung „vom Ästhetischen ins Politische“ bekannte und diese als die neue Situation des Schriftstellers in der Realität seiner Zeit verkündete. Dennoch steht der erste Gedichtband, den Günter Eich nach dem Krieg veröffentlichte, in deutlichem Widerspruch zur angekündigten Wandlung und ganz generell zu den Theorien des Kahlschlags. Abgelegene Gehöfte (1948) enthält sowohl eine lyrische Produktion, die Eich in den dreißiger Jahren geschrieben und teilweise schon veröffentlicht hatte, als auch neue Gedichte aus dem Kriegsende – unter ihnen „Inventur“, dessen bisherige Bedeutung und Rezeption von Dokumenten aus dem Nachlass in ein völlig neues Licht gerückt werden. Inwiefern können also poetologische Intentionen und lyrische Praxis in der unmittelbaren Nachkriegszeit übereinstimmen? Bildet die Geste der Zusammenstellung von frühen und neuen Gedichten nicht schon ein Bindeglied über das nationalsozialistische Deutschland hinweg? Eine nähere Untersuchung des Gedichtbands soll dieses komplexe Verhältnis von Ästhetik und Ideologie aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Bisher wurde dem paradoxen Entstehungsprozess von Abgelegene Gehöfte kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Deshalb soll nun die nähere Betrachtung von unveröffentlichten Archivbeständen (vor allem von dem Briefwechsel Günter Eichs und Erhard Göpels mit dem Verleger Georg Kurt Schauer sowie mehreren umgearbeiteten und beschrifteten Listen der Gedichte und Arbeitsnotizen) ein lebendiges Bild der langwierigen Arbeit an dem Gedichtband geben: Entstehungs- und Publikationszeiten der verschiedenen Gedichte, die Reihenfolge der Texte sowie Diskussionen über die Holzschnitte von Karl Rössing veranschaulichen eine ambivalente Dialektik zwischen historischer Zäsur und literarischer Kontinuität. Auf dieser Grundlage soll nach der Widersprüchlichkeit einer solchen Genese gefragt werden, in deren Verlauf nach und nach alle Hinweise auf die geschichtliche Zäsur bewusst verschleiert zu werden scheinen. Um die Problematik von Wandlung und Kontinuität zu untersuchen, ist natürlich nicht nur die Gestaltung des Bandes relevant. Es gilt auch, die Diskrepanz zwischen Günter Eichs poetologischen Äußerungen und seiner lyrischen Produktion anhand von einzelnen Gedichten aus Abgelegene Gehöfte, „frühen“ und „neuen“, auf den Prüfstand zu stellen. Schlagwörter für diese Untersuchung wären u.a. die Beziehungen zwischen lyrischer Subjektivität und autobiographischem Ich, die lyrische Spurensicherung von historischen Ereignissen (eine „nicht mehr schöne“ Kunst?) sowie die Intertextualität im Spannungsfeld des semantischen Gehalts früherer Sprachbilder und der bewussten Umfunktionierung einer literarischen Tradition, die nach 1945 nunmehr ungültig erscheint. Die Analyse wird sich auf unveröffentlichte Handschriften stützen. Dabei soll die textnahe Lektüre einiger repräsentativer Gedichte und deren Vorfassungen zeigen, inwiefern sich geschichtliche Fakten, biographische Begebenheiten und Spuren der lyrischen Tradition in den Texten verschränken.

Domaines

Littératures
Fichier non déposé

Dates et versions

hal-01446922 , version 1 (26-01-2017)

Identifiants

  • HAL Id : hal-01446922 , version 1

Citer

Sandie Attia. "Günter Eich [...], der neulich aus dem Chaos auftauchte und mir sehr schöne neue Arbeiten sandte": Wandlungen und Paradoxe des Gedichtbandes Abgelegene Gehöfte. Detlef Haberland. Ästhetik und Ideologie 1945. Wandlung oder Kontinuität poetologischer Paradigmen in Werken deutschsprachiger Schriftsteller, 67, De Gruyter Oldenbourg, pp.357-372, 2017, Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa. ⟨hal-01446922⟩
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